Aus Ausgabe 46/07 |
Kultur und Konsum
Auto
Rollende Scheune
Von Ulf Poschardt
Der Landrover ist ein Auto, wie es fast keine mehr gibt. Man nennt das auch «Charakter».
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Landrover
Defender 90 SW: Hubraum: 2402 ccm, Leistung: 122 PS,
Höchstgeschwindigkeit: 130 km/h, Preis: 41800 Franken. Illustration:
Benjamin Güdel |
Jetzt
weiss ich, wie sich die Queen fühlt. In dem wundervollen Film «The
Queen» gibt es eine Szene, in der Helen Mirren (als Elisabeth II.) mit
ihrem Landrover Defender ohne Chauffeur und Bodyguard losfährt, um dem
Chaos royal nach dem Tod Dianas zu entfliehen. Der Defender fungiert
dabei als Double der Monarchin: Geländewagen wie Königin scheinen in
ihrer gestalterischen Verstaubtheit im Kampf des Tradierten mit der
windschnittigen Gegenwart hoffnungslos verloren.
Der Defender kann Nichtadligen gehörige Angst einjagen. Als im Sommer
eine überarbeitete und modernisierte Variante des Modells angekündigt
wurde, bestellte ich ihn als Testwagen. Als dieser in der Garage stand,
erschrak ich über dessen Höhe und darüber, wie altmodisch ein neues
Auto daherkommen kann. Die Felgen waren eierschalenfarben lackiert. Im
Inneren suchte ich minutenlang nach dem Zündschloss, um es
schliesslich klein und zierlich links des Lenkrades zu finden. Die
Handbremse ist in Fusshöhe angebracht, der Ganghebel erscheint länger
als jedes königliche Zepter. Obwohl ich mit 185 Zentimetern ungefähr
Durchschnittslänge habe, wirkt der Platz etwas eng. Der Fahrersitz ist
bis ganz nach hinten geschoben.
Mit dem nagelnden Diesel freundet man sich gerne an. Der erste Gang ist
wohl lediglich zum Anfahren am Berg gedacht, ab dem zweiten Gang zieht
der 2,4-Liter-Turbodiesel kräftig und zügig. Mein erster Schreck: der
Wendekreis. Obwohl ich den kurzen Defender fahre, komme ich um die
erste Kurve nur herum, nachdem ich zweimal zurückgesetzt habe. Von
diesem Schock erhole ich mich nur langsam und überlege vor jeder
Kurveneinfahrt, welcher Radius der richtige sein könnte.
Ansonsten ist das auch innen elegante, aber etwas spartanische Auto ein
Charmebolzen. Die beiden Aussenspiegel sind pfannengross, die
Lautstärke des Radios lässt sich nicht am Lenkrad einstellen, und das
Glasdach muss per Hand nach oben gedreht werden. Derart triviale
Tätigkeiten können das Bewusstsein erweitern. Sie reissen den Piloten
aus dem hektischen Alltag in eine Entrücktheit des Country-Lebens. Die
Differenz des Defender zu allen anderen Fahrzeugen, auch den SUVs, ist
so gross, dass man die Unverwechselbarkeit zwangsläufig für Charakter
nehmen muss. Ein britischer Trick. Dieser Charakter findet breiten
Zuspruch. Auf den Strassen und an den Ampeln sind es vor allem
Gleichgesinnte, die sich zu erkennen geben. Jäger aus Brandenburg in
grünen G-Klassen oder Defender-Fahrer mit Union-Jack-Aufklebern.
Auf der Autobahn mit dem Defender gibt es einsame Momente. Die
Windgeräusche ab Tempo 130 sind beachtlich: Endlich bekommen
Speed-Freaks wieder ein Gefühl für die Kraft der Geschwindigkeit: Die
senkrecht in die Luft ragende Windschutzscheibe provoziert den cw-Wert
eines Scheunentors. Der Stauraum im Heck entspricht schon beim kurzen
Defender dem einer Scheune. Beim Mustern denke ich an tote Rehe und
Wildschweine, die hier ihre letzte Ruhe finden. Eigentlich ein schöner
und würdiger Ort.
Ulf Poschardt ist Chefredaktor von Vanity Fair.
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