Samstag, 29. März 2008, 21:14:06 Uhr, NZZ Online
Von Christoph Zürcher
Der Tiefsinn unseres Konsumverhaltens wird unterschätzt. Manchmal können unsere Motive, etwas zu kaufen, so kompliziert sein wie die der Liebe. Natürlich wollen wir Dinge oft aus Statusgründen, aber manchmal geht es auch um die Erinnerungen und Bilder, die die Dinge in unserem Kopf erzeugen. Und wenn wir uns für ein Ding, ohne zu zögern, ruinieren, dann handelt es sich höchstwahrscheinlich um Kindheitserinnerungen. In meinem Fall gehört zu diesen Dingen der Land Rover Defender.
Ein Land Rover Defender war neben dem Löwen Clarence, der schielte und auch sonst sehr sympathisch war, und dem Schimpansenweibchen Judy der Star der TV-Serie «Daktari». «Daktari» war «Grey's Anatomy» der siebziger Jahre, ausser dass die Patienten Tiere waren und das Ganze nicht in Seattle spielte, sondern in der Serengeti. Es gibt keinen Zweifel, dass «Daktari» meine Vorstellung des erstrebenswerten Lebens weit mehr geprägt hat als zwanzig Jahre humanistische Bildung.
Der andere Grund, warum der Defender für mich das Auto schlechthin wurde, ist mein Grossvater. Mein Grossvater besass zwei Autos: einen Defender im klassischen Keswickgreen und einen Opel, Farbe Gold. Im Defender ging es auf Baustellen, wo jedes Mal etwas Aufregendes passierte. Im Opel ging es in Restaurants, in denen man stundenlang reglos dasitzen und sich von parfümierten Tanten abküssen lassen musste. Im Opel redeten Frauen über alarmierend schlechte Schulnoten (meistens meine) oder andere Belanglosigkeiten. Im Defender sass man unter Männern, die nur den Mund auftaten, wenn es wirklich wichtige Themen zu besprechen gab, wie zum Beispiel Erdrutsche oder überschwemmungen. Der Defender war kaum gefedert, der Wind blies herein, und es lagen immer Maschinenteile herum, an denen man sich garantiert die Kleider schmutzig machte. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Grossmutter oder irgendeine Frau dem Defender jemals auch nur nahe gekommen wäre.
Offiziell rollte der Opel einzig am Sonntag aus der Garage, um das verhältnismässig noble Auto zu schonen. Aber ich glaube, der wahre Grund war ein anderer. Meine Grossmutter war keine angenehme Person, mit dem Alter wurde es nicht besser. Und an keinem Ort war mein Grossvater vor ihr so sicher wie im Defender. Automobile sind im Kern nicht Transport-, sondern Eskapismus-Maschinen. Unnötig zu sagen, welches der zwei Autos meines Grossvaters das Zeug dazu besass, ein Traumauto zu werden.
Man kann also behaupten, ich sei positiv voreingenommen gewesen, als ich neulich die Gelegenheit bekam, den neusten Defender auszufahren. Eine Enttäuschung wurde es trotzdem nicht. Wenn ich mich recht erinnere, hat sich im Inneren des Autos seit den siebziger Jahren erfreulich wenig getan. Wahrscheinlich ist heute mehr Plastic drin. Mit Sicherheit gleich geblieben ist der Gesamteindruck «unzimperlich».
Man sitzt noch immer spartanisch aufrecht, nach elektronischen Hilfeleistungen kann man lange suchen. Statt des Handschuhfachs gibt es einen Griff, an dem der Beifahrer sich festhalten kann, wenn es holprig wird. Und die Hecktür scheppert beim Zuschlagen, als habe man mit seinem Defender schon zweimal Afrika durchquert. Ein Geräusch, das so perfekt von überstandenen Abenteuern erzählt, dass einen fast der Verdacht beschleicht, die Tontechniker bei Land Rover hätten das extra gemacht.
Das Neue am Defender ist dann wohl auch nicht unbedingt die Technik. Das wirklich Neue – das merkt man schnell – ist seine soziale Konnotation. Victor, mein Friseur, der mehr von Autos versteht als irgendjemand anders, den ich kenne, meinte: «Defender ist okay, aber du hast damit ein Imageproblem.» Was er damit meinte, war nicht, dass man mich für einen Handwerker halten könnte, sondern für einen von der Sorte Leute, die ein bisschen zu strebsam allen Moden folgen. War der Defender zu Zeiten meines Grossvaters noch ein Nutzfahrzeug, ist er heute eben auch ein Lifestyle-Statement.
Und auch das mit dem Desinteresse der Frauen hat sich geändert. Sicher davor, dass eine Frau mitfahren will, ist man in einem Defender heute keinesfalls. Schon am ersten Abend war es nicht zu verhindern. «Ist ja ganz bequem», meinte sie. Jeder Fortschritt hat bekanntlich auch seine Schattenseiten.